Werkverzeichnis Siehl-Freystett

Johann Georg Siehl-Freystett: Leben und Werk

Die folgenden Texte wurden erstmals abgedruckt in:
Lars U. Scholl und Hartmut Wiesner: Johann Georg Siehl-Freystett (1868-1919). Begleitband zur Sonderausstellung des Deutschen Schiffahrtsmuseums Bremerhaven in Rheinau-Freistett vom 16. bis 23. Oktober 1988. Bremerhaven 1988
Wir danken dem Kurator der Ausstellung, Herrn Prof. Dr. Lars U. Scholl, und Herrn Dr. Hartmut Wiesner für die Erlaubnis, ihre Texte hier verwenden zu dürfen.
Herrn Erik Hoops M.A. vom Deutschen Schiffahrtsmuseum Bremerhaven gebührt Dank für seine tatkräftige Unterstützung dieses Projektes.
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Lars U. Scholl: Johann Georg Siehl-Freystett

Lars U. Scholl: Johann Georg Siehl-Freystett

Johann Georg Siehl wurde am 16. Februar 1868 in Freistett, einer rechtsrheinischen Gemeinde im badischen Hanauerland, geboren. Sein Vater, Johann Georg (5. Januar 1842 bis 30. Oktober 1871), war Bürger und Rheinfischer in dem alten Fischerort. Das Geschlecht der Siehl läßt sich bis zum Dreißigjährigen Krieg in Freistett zurückverfolgen. Der eine Familienstamm bestand aus Fischern und Rheinschiffern, der andere aus Bauern und Handwerkern. Ein Jahr vor der Geburt des Stammhalters hatte Johann G. Siehl, Sohn des Fischers Daniel Siehl und der Margaretha geb. Hummel, am 27. Mai 1867 in der evangelischen Kirche Dorothea geb. Hauss (11. Januar 1842), Tochter des Michael Hauss und der Susanne Dorothea geb. Lauppe, geheiratet. Als Paten ihres gemeinsamen Sohnes verzeichnen die Kirchenbücher Michael Hauss, den Gärtner Friedrich Hauss und die ledige Tochter des Diersheimer Fischers Michael Schreiner, Dorothea. Eine Tochter des jungen Ehepaares starb 1872 im Alter von zweieinhalb Jahren. Nach dem Willen des Vaters sollte Johann Georg Landwirt werden. Für die bereits früh zutage tretende Neigung des Jungen für die Malerei zeigte er kein Verständnis. Doch ehe die Frage der Berufsausbildung akut wurde, starb der Vater an den Folgen von Verletzungen, die er im Kriege 1870/71 erlitten hatte. Die Mutter stand dem Berufswunsch des Sohnes zwar aufgeschlossener gegenüber, konnte ihn aber wegen der bedrängten finanziellen Verhältnisse nicht erfüllen. Sie gab ihn jedoch im Alter von 16 Jahren zu einem Malermeister in die Lehre, bei dem er zwar keine künstlerische Ausbildung erhalten konnte, der ihm jedoch handwerklich-technische Grundkenntnisse und -fertigkeiten vermittelte, die für seine spätere künstlerische Tätigkeit nützlich waren. Nach Beendigung seiner Lehre arbeitete er als Malergeselle, zunächst in seinem Heimatort, später in Freiburg im Breisgau, wo er an der Ausmalung von Kirchen beteiligt war.

Das Jahr 1888 brachte eine für Siehls restliches Leben entscheidende Wende, als er sich zur Ableistung seines Militärdienstes als Freiwilliger zur Marine meldete. Er diente vier Jahre bei der II. Matrosen-Artillerie-Abteilung in Wilhelmshaven. In seiner Freizeit widmete er sich der Malerei. Seine Vorgesetzten wurden auf sein Talent aufmerksam und bemühten sich darum, ihm eine Freistelle auf der Karlsruher Kunstakademie zu verschaffen. Doch diesen Bemühungen blieb der Erfolg versagt. Nach Beendigung seiner Militärzeit blieb Siehl in Wilhelmshaven und verdiente seinen Unterhalt mit photographischen Arbeiten, die ihm jedoch kaum das Lebensnotwendigste einbrachten. Die näheren Umstände, wie der Malergeselle zur Photographie kam, sind nicht bekannt. Er eröffnete ein Photogeschäft in der Roonstraße 77 und nannte sich Photograph und Maler. In erster Ehe war er mit Minna Klara Bertha Karth (11. Januar 1876 bis 7. März 1900) verheiratet. Aus dieser Ehe stammten drei Kinder: die Söhne Erich Georg (11. März 1895 bis 7. Dezember 1955) und Ernst (25. Dezember 1898 bis 19. Juli 1918) sowie die Tochter Else (9. September 1897 bis 23. April 1987). Nach dem frühen Tod seiner ersten Frau ging Siehl eine neue Ehe mit Lina Behrmann (11. November 1876 bis 22. März 1943) ein. Der Beruf als Photograph ernährte ihn mehr schlecht als recht. Allerdings vermerkte er mit Stolz die offizielle Anerkennung seiner Arbeiten durch den Großherzog von Oldenburg, der ihn mit einer rubinbesetzten Busennadel auszeichnete, und durch den Prinzen Heinrich von Preußen auf der Rückseite seiner Photographien. 1906 gab er sein Photoatelier in der Roonstraße auf und lebte als freischaffender Künstler in einer Stadt, die ihre Existenz der Marine verdankte und deren von der Marine lebende Bevölkerung alles andere als besonders kunstinteressiert war.

Der Autodidakt, dem eine künstlerische Ausbildung versagt geblieben war, widmete sich der Ölmalerei und der Graphik, deren Technik er sich selbst erarbeitete. Etwa zu dieser Zeit, in der er sich ganz für die Malerei entschied, fügte er seinem Nachnamen als besonderes Erkennungszeichen seinen Geburtsort Freystett hinzu und nannte sich nun Johann Georg Siehl-Freystett. Die Themen seiner künstlerischen Arbeit waren von Wilhelmshaven und dem die Stadt umgebenden Land geprägt. Einerseits malte er die Marschen- und Moorlandschaft im Nordwesten Deutschlands, andererseits befaßte er sich mit der Stadt und der sie dominierenden Marine mit ihren Schiffen, Hafenanlagen und Werftwerkstätten. Er thematisierte den Antagonismus von ursprünglicher, unberührter Landschaft und von künstlicher, der Technik unterworfener Stadt. Die genaue Beobachtungsgabe des Photographen und die unverkennbare Sicht aus der Kameraperspektive stehen im spannungsreichen Kontrast zu den Maiergebnissen. Er war so sehr Photograph, daß er das Wesentliche erfaßte, und gleichzeitig so sehr Zeichner, daß er in Skizzen umsetzte, was er darstellen wollte. Bis auf wenige Ausnahmen arbeitete er nicht nach Photographien. Die Vielzahl der überlieferten Kompositions- und Figurenskizzen und Studien belegen die intensive Auseinandersetzung mit den Situationen vor Ort. Aus dieser Haltung erklärt sich die Anwendung des späten impressionistischen und des naturalistischen Maistils sowohl auf die Landschafts- als auch die Technikmotive. Auffällig ist, daß er der Landschaftsmalerei offensichtlich keine reinen Seestücke gegenüberstellte. Er maß dem Meer nicht den Eigenwert bei wie der Marsch- und Moorlandschaft Frieslands. Die Wasserlandschaft hatte für ihn nur in Verbindung mit Schiffen, Kränen oder Brücken Bedeutung. Dem Kontrast zwischen Natur- und Kunstlandschaft widmete er sein Schaffen.

Auf einer Studienreise in den Odenwald entstanden 1913 zahlreiche kleinere Zeichnungen. Zusammen mit einigen Porträts und Skizzen aus seiner Heimat bilden die Arbeiten aus Baden einen weiteren, wenn auch lose zusammenhängenden Themenkomplex.

In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg verbesserten sich seine finanziellen Verhältnisse, und er konnte recht gut vom Verkauf seiner Arbeiten an die Stadt und an Privatleute leben. Noch vor dem Kriegsausbruch ließ er sich 1913 im Rüstringer Villenviertel, Kantstraße 20, ein Wohnhaus mit Atelier bauen. Das Haus, das der Künstler im November 1914 bezog, obwohl es noch nicht fertig war, wurde am 22. März 1943 bei einem Bombenangriff völlig zerstört. Die Ehefrau des Künstlers kam dabei ums Leben. Nichts zeigt wohl deutlicher, wie arriviert Siehl-Freystett sich fühlte, als die Wahl des Villenviertels für die Einrichtung des eigenen Domizils. Er zog damit in die unmittelbare Nachbarschaft höherer und höchster Marineoffiziere.

Nach Kriegsbeginn meldete sich Siehl-Freystett recht bald freiwillig zur Marine und wurde als Marinemaler eingezogen. Er war als guter und schneller Zeichner bekannt. Um so mehr muß es verwundern, daß seine künstlerische Produktivität nicht sehr groß gewesen ist. Denn aus der Kriegszeit sind nur wenige Arbeiten überliefert. Das Ende des Krieges hat er nicht mehr lange überlebt. Am 15. August 1919 verstarb er überraschend an einem Schlaganfall mitten in seiner Arbeit. Das kleine Ölgemälde vom „Nassauhafen“ blieb unvollendet. Sein Freund August Mahr gab im Winter 1919/20 in der Siehl-Freystett-Gedächtnisausstellung einen umfassenden Überblick über das Lebenswerk des badischen Fischersohnes, der an der Küste heimisch geworden war. Nach einer kleineren Ausstellung in Wilhelmshaven im Jahre 1935 entdeckte Anfang der 1980er Jahre der Maler und Kunstpädagoge Hartmut Wiesner in einer Ausstellung der Wilhelmshavener Kunsthalle das Werk des Malers für die Öffentlichkeit von neuem. Einige dieser Exponate werden nun in Siehls Geburtsstadt, die heute ein Teil der Stadt Rheinau ist, gezeigt. Eine wichtige Ergänzung bieten die inzwischen aufgetauchten Zeichnungen aus dem Odenwald sowie
einige andere neu zum Vorschein gekommene Einzelarbeiten.

Literaturhinweise
Hartmut Wiesner: Johann Georg Siehl-Freystett. Ein Maler in Wilhelmshaven und Umgebung. Wilhelmshaven 1983.
Lars U. Scholl: Der Marinemaler Johann Georg Siehl-Freystett. In: Deutsches Schiffahrtsarchiv 9, 1986, s. 281-312.
ders.: Der Landschafts- und Marinemaler Johann Georg Siehl-Freystett. In: Die Ortenau. Veröffentlichung des Historischen Vereins für Mittelbaden 66, 1986, S. 526-531.
ders.: Marinemalerei im Dienst politischer Zielsetzungen. In: Seefahrt und Geschichte. Ausstellungskatalog. Hrsgg. vom Deutschen Marineinstitut und dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Herford 1986, S. 173-190.
ders.: Marinemaler in Wilhelmshaven. In: Kunst an der Jade. Wilhelmshaven 1912-1987. Hrsgg. vom Verein der Kunstfreunde für Wilhelmshaven. Wilhelmshaven 1987, S. 93-98.
Werner Raas: Waldkatzenbach 1913: Eindrücke einer Sommerfrische – Georg Siehl-Freystett zeichnet im Odenwald. In: Der Odenwald. Zeitschrift des Breuberg-Bundes 30, 1983, S. 75-85.

Lars U. Scholl: Der Marinemaler

Lars U. Scholl: Der Marinemaler

Nachdem sich die Marinemalerei in Deutschland zwischen 1870 und 1880 in den wichtigsten Kunstzentren Berlin, Düsseldorf und Karlsruhe als Disziplin etabliert hat, erlebt sie unter Kaiser Wilhelm II. einen rasanten Aufschwung. Im Zuge der Flottenbegeisterung des Kaisers und des damit einhergehenden Aufbaus der Kaiserlichen Marine fühlen sich immer mehr Maler berufen, die Flotte künstlerisch ins Bild zu setzen. Zu dem engeren Kreis von Marinemalern, den der Kaiser um sich sammelt und fördert, gehören die wohl berühmtesten Maler der älteren Generation Hans Bohrdt, Carl Saltzmann und Willy Stöwer, die nicht nur Hunderte von Gemälden der entstehenden Flotte malen, sondern auch in maritimer Historienmalerei Taten der Kurbrandenburgischen Flotte und andere Höhepunkte der deutschen Marinegeschichte verarbeiten. Im Gefolge dieser Maler erlebt die Marinemalerei bis 1918 eine nie gekannte Konjunktur in Deutschland, die viele andere Maler anzieht. In diesem geistigen und künstlerischen Umfeld sind die Versuche des Marinesoldaten Siehl-Freystett, sich mit der Marinemalerei zu beschäftigen, einzuordnen. Da viele der Arbeiten des Künstlers nicht ihr Entstehungsjahr tragen, läßt sich Siehl-Freystetts Hinwendung zum Sujet Flottenmalerei zeitlich nur durch äußere Hinweise bestimmen. Da er während der Ableistung seiner Militärzeit gelegentlich in der Freizeit malt, liegen die Anfänge um 1890. Erste Postkarten nach Vorlagen von J. G. Siehl stammen aus dem Jahre 1898. Es handelt sich um eine ganze Serie, die im Verlag von Gebr. Ladewigs in Wilhelmshaven hergestellt wurde. Die kolorierten Postkarten zeigen verschiedene Schiffe der Kaiserlichen Marine. Da er in seiner ersten Schaffensperiode seine Arbeiten mit J. G. Siehl oder Siehl signiert, gehören zwei farbige Postkarten mit Motiven aus dem Emder Hafen und zwei Gemälde von Hochseeseglern ebenfalls der Zeit vor 1905/06 an. Das bedeutendste Ölgemälde dieser Phase, „Angriffsübung auf die Hafenbefestigung von Kiel, 12. September 1903“, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Dem Ende der ersten Malphase des Künstlers zugehörig, markiert es inhaltlich und maltechnisch einen Wendepunkt. Betrachtet man die frühen Auftragsarbeiten für die Postkartenserie, so fällt der vielleicht etwas naive, jedoch sehr vordergründige Propagandazweck ins Auge. Wie viele Marinemaler in der Kaiserzeit malt Siehl Schiffe der Kaiserlichen Marine sehr direkt in die Bildmitte, auf künstlerische Gestaltung völlig verzichtend. Es wird eine deutliche Botschaft vermittelt: Die kaiserlich-deutsche Flotte ist mit vielen Schiffen auf den Meeren präsent, sogar im fernen Südostasien. Es wird für die Flotte geworben gemäß den kaiserlichen Ansprüchen: „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“ oder „Bitter not tut uns eine starke Flotte“. Die Postkarten, heute wie damals begehrte Sammelobjekte, sind Teil einer großen Propagandakampagne, die die Marine vor allem im Besitz- und Bildungsbürgertum zu einem nationalen Anliegen machen soll. Die politisch-intendierte Marinemalerei findet bei Siehl ihren Höhepunkt in dem Gemälde „Angriffsübung auf die Hafenbefestigung von Kiel, 12. September 1903″. In gewisser Weise bildet dieses Gemälde die Apotheose der bisherigen Kriegsschiffdarstellungen des Malers. Denn in einem übertragenen Sinne sind nun alle von ihm gemalten, auf Postkarten dargestellten Einzelschiffe zu einer Flotte zusammengeführt worden. Aus einer Vielzahl von Schulschiffen, Korvetten, Torpedobooten, Panzerschiffen etc., von denen als Einzelschiffen schon eine beträchtliche Propagandawirkung ausgeht, ist nun eine mit geballter Macht auftrumpfende Flotte geworden, mit der als Faktor auf den Meeren zu rechnen ist.

In künstlerischer Hinsicht hat sich Siehl zu Beginn des Jahrhunderts von der mehr technisch ausgerichteten Malweise fortentwickelt. Neue malerisch-kompositorische Fähigkeiten treten in den Vordergrund. Bei den als Postkarten vertriebenen Illustrationen wird überwiegend auf aktuelles Geschehen in der Kaiserlichen Marine abgehoben. Ältere und neuere Schiffe werden vorgestellt entweder kurz nach der Indienststellung oder auf Auslandsreisen. Sie sind die Werke eisnes malenden Bildreporters und zeigen Momentaufnahmen, die außer der vordergründigen Information über Aussehen und Einsatz der Schiffe keinen höheren Anspruch haben und lediglich platte Werbeträger für die Flotte sind. Das ändert sich nun nach der Jahrhundertwende mit dem Ende des Suchens nach einem eigenen Stil. Die Arbeiten Siehls verlieren ihre zeitlich-aktuelle Gebundenheit mehr und mehr, seien es die Hafenszenen in Emden, seien es die Hochseesegler. Die Viermastbarken werden in Seelandschaften hineinkomponiert und verlieren ihren das Bildformat füllenden, das Schiff porträtierenden Charakter. Die Schiffe behalten zwar durchaus ihre technisch-typenhaften Züge, die eine namentliche und klassenspezifische Identifizierung ermöglichen. Doch unverkennbar ist der malerisch-künstlerische Anspruch gestiegen.

Als sichtbares Zeichen für den beginnenden neuen Abschnitt legt er sich den Künstlernamen Siehl-Freystett zu und dokumentiert damit das Ende seiner Lehr- und Lernzeit. Aus dem Jahre 1908 ist die kleine Bleistiftzeichnung eines Obstbootes überliefert. Ab 1910 entstehen Bleistift- und Federzeichnungen, Radierungen, Aquarelle und Ölgemälde von Lastenseglern und Obstbooten aus dem Alten Land, im Handelshafen, am Ems-Jade-Kanal oder im Banter Kanalhafen. 1911 taucht erneut eine Kriegsschiffdarstellung auf. Die flüchtige Bleistiftskizze ist bei einer Übungsfahrt an Bord von Torpedoboot S 62 im Februar 1911 entstanden. Aus dem Jahre 1913 stammen Zeichnungen und Radierung von einer nächtlichen Torpedobootübung. Vom Juli 1914 sind zwei Bleistiftskizzen von S.M.S. HELGOLAND an der Pier und beim Auslaufen überliefort. Eine kleine Bleistiftskizze mit einem der Großen Kreuzer ROON, YORCK, SCHARNHORST oder GNEISENAU im Bauhafen dürfte aus gleicher Zeit stammen.

Die Tatsache, daß es sich bei allen Kriegsschiffdarstellungen zwischen 1911 und 1914 um kleinformatige Skizzen und Radierungen handelt, die anschließend mit nur wenigen Ausnahmen zu großen Ölgemälden ausgearbeitet werden, deutet auf eine gewandelte Haltung des Malers zur Marinemalerei hin. Zwar zeichnet er immer wieder oder auch immer noch gelegentlich Kriegsschiffe, aber der propagandistisch-politische Impetus aus seiner Anfangsphase ist merklich einer weniger provokativen Darstellung gewichen.

Zwischen 1911 und 1913 arbeitet Siehl-Freystett an dem Triptychon „Schiffbau“. Das dreiteilige Bild beschreibt den Bau des Schlachtkreuzers HINDENBURG und wird von der Stadt Rüstringen für 1000 Mark erworben. Nur zwei Jahre später liefert der Maler ein zweites Triptychon „Hafen“ an die Stadt Wilhelmshaven ab. Der Kaufpreis beträgt 3000 Mark. Zu beiden Triptychen malt er zahlreiche Detailstudien.

In der Darstellung von Industrieszenen erweist sich Siehl-Freystett als genauer Beobachter mit viel Gespür und sicherem Auge für die Arbeit auf der Werft. Dagegen bleiben die Menschen, so sie überhaupt in Erscheinung treten, wie auf den anderen schiffahrtsbezogenen Arbeiten nur schemenhaft. Sie sind ihm, der sich durchaus auf das Porträtieren versteht, in diesem Zusammenhang unwichtig. Die Arbeiter bleiben Randfiguren. Zwar steht Siehl-Freystett mit diesen Arbeiten in der Tradition von Adolph Menzels „Eisenwalzwerk“ und orientiert sich an den malerisch-künstlerischen Qualitäten des Realismus Menzelscher Prägung. Aber im Gegensatz zu Menzel fehlt die Auseinandersetzung mit der Arbeitssituation, mit dem Verhältnis von Arbeitern zum Produktionsvorgang. Siehl-Freystett verharrt in naturalistischer Darstellungsweise mit impressionistischen, auf das Licht bezogenen Eigentümlichkeiten in der Nähe der Werft- und Fabrikbilder seiner Marinemalerkollegen Friedrich Kallmorgen oder Willy Stöwer. In Siehl-Freystetts Triptychon „Schiffbau“ dominiert die künstlerische Beschäftigung mit der Technik und den Maschinen. Jeglicher sozialer Kontext, der die Konflikte und Widersprüchlichkeiten der Wirklichkeit aufdeckt, bleibt ausgeblendet. An weiteren während des Krieges gemalten oder veröffentlichten Bildern mit Schiffen der Kaiserlichen Marine ist das Ölgemälde „Torpedoboote im Hafen“ zu nennen, das dem Nekrolog auf Admiral Graf von Spee in der Zeitschrift „Jugend“ beigegeben worden ist. In dem gleichen Jahrgang sind zwei weitere Gemälde reproduziert. Sie tragen die Titel „Hochseetorpedo-Boot auf Vorposten-Fahrt“ und „Auslaufende Torpedoboots-Flottille“. Das zuletztgenannte Gemälde geht auf die Bleistiftzeichnung vom Torpedoboot V 185 aus dem Jahre 1913 zurück. Alle drei Arbeiten gehören vom Motiv her zusammen und sind in gleicher Weise ohne scharfe Konturierung der Schiffslinien gemalt. Eine nach einem Original gedruckte, farbige Postkarte mit dem Titel „Depeschenboote“ wird kurz vor oder während des Ersten Weltkrieges vertrieben worden sein. Die letzten beiden Gemälde, die zu erwähnen sind, hat der Maler datiert. Sie stammen vom November 1918. Die Kaiserliche Flotte liegt in Wilhelmshaven und ist gerade entmunitioniert worden. Die Kessel stehen unter Dampf, die Abfahrten in die Internierung nach Scapa Flow steht kurz bevor. Als Vorlage benutzt Siehl-Freystett eine Photographie von W. Feyerabend, Wilhelmshaven, mit dem Titel „Die Abrüstung der Deutschen Flotte. Vor der Abreise“.

Wie ist nun der hier vorgestellte Teil des Euvres von Siehl-Freystett einzuschätzen? In seiner ersten, bis etwa 1906 reichenden Maiphase ist Siehl-Freystett der von der Marine und ihren Schiffen begeisterte Künstler, der sich nahtlos in die Reihe der zeitgenössischen Marinemaler einreihen läßt. Es ist der Lebensabschnitt, in dem er sich selbst ausbildet, seinen Stil sucht und sein künstlerisches Selbstverständnis entwickelt. Seiner Marinemalerei mangelt es noch an Eigenständigkeit, sie ist noch an den großen Kampfschiffen orientiert, die er in gängiger Weise darstellt. Die zweite, von etwa 1906/1910 bis zu seinem Tode umspannende Schaffensperiode läßt eine veränderte Haltung erkennen. Er zeichnet und malt überwiegend die kleinen Einheiten – in erster Linie Torpedoboote, die in dem Ringen um die maritime Vormachtstellung zwischen dem Kaiserreich und Großbritannien eine untergeordnete Rolle spielen. In der Tirpitzschen Flottenkonzeption dreht sich alles um Großkampfschiffe, die für die Royal Navy zu einem Risikofaktor werden sollen. Diese Distanz Siehl-Freystetts zu dem Für und Wider um die Hochseeflotte ist bemerkenswert. Ein weiterer gravierender Unterschied zu den vielen Marinemalern während des Ersten Weltkrieges wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Siehl-Freystett kein einziges Mal große Gefechts- und Schlachterfolge der Kaiserlichen Marine zum Thema wählt. Der gesamte U-Boot-Krieg, auf dem die ganze Last des Kampfes auf dem Meere liegt, nachdem die Hochseeflotte in Wartestellung gehalten wird, findet keine künstlerische Behandlung. Die demonstrative Verherrlichung von glorreichen Taten in der Auseinandersetzung mit England um die maritime Vorherrschaft, die wir von anderen Malern in vielfältigen Variationen kennen, liegt Siehl-Freystett fern. Wenn man sich daran erinnert, daß der Maler Claus Bergen gerade mit seinen zahlreichen Darstellungen der Skagerrak-Schlacht in Wilhelmshaven erste große Erfolge erzielt, dann gibt es keinen Zweifel mehr, daß Siehl-Freystett gegenüber der Propagandamalerei auf Distanz gegangen ist. Seine insgesamt positive Haltung der Marine gegenüber kann jedoch nicht in Frage gestellt werden, wenngleich nicht zu übersehen ist, daß die beiden Gemälde von der entmunitionierten Flotte kein emotionales Engagement eines Malers verraten, der zweimal jeweils fast vier Jahre in der Marine gedient hat.

Hartmut Wiesner: Johann Georg Siehl-Freystett und Wilhelmshaven

Hartmut Wiesner: Johann Georg Siehl-Freystett und Wilhelmshaven

I.
„Man kann die Betrachtung der Rolle der bildenden Künste in Wilhelmshaven-Rüstringen nicht abschließen, ohne des einen bedeutenden Künstlers zu gedenken, den die Jadestädte zwar nicht hervorgebracht, aber durch lange Jahre in ihren Mauern beherbergt haben. Geboren als Sohn eines Rheinschiffers in Freystett, durchlief Siehl-Freystett, wie er sich nannte, Volks- und Fortbildungsschule und kam dann, sein Vater war arm, zu einem Maler in die Lehre. Mit 20 Jahren führte ihn sein Weg zum Ableisten seiner Dienstzeit bei der Marine nach Wilhelmshaven.“ 1)

So heißt es in der Chronik der Stadt Wilhelmshaven in dem Abschnitt über die bildenden Künste. Diese Einschätzung basiert auf dem Nachruf, den der Freund des Künstlers, August Mahr, bei seinem Tode am 15. August 1919 verfaßte.

„Siehl … hat uns durch sein Kunstwerk gelehrt, auch in dem gemeinhin verachteten, im Schlick, im Qualm und Eisengewirr der Werft, im Hafen und im öden Meer, das ewig unvergängliche, köstliche Etwas zu sehen und zu fühlen, das die Heimatliebe gebiert, wenn die Seele des Menschen es begriffen hat … Er hat es gewagt, allen Vorurteilen und Hemmungen zum Trotz durch lange Jahre voll Entbehrung und Mühsal als einziger freischaffender Bildner das künstlerische Leben der Jadestädte buchstäblich zu verkörpern.“ 2)

Neben seiner eigenen künstlerischen Produktion war Siehl-Freystett einer der wichtigsten Förderer der Kunst in Wilhelmshaven. Er war befreundet mit dem Grafen Baudissin, Admiral und Chef der Marinestation Nordsee, dem der Kunst gegenüber sehr aufgeschlossenen höchsten Vertreter der Marine in der Stadt. Beide hatten maßgeblichen Anteil am Bau der Kunsthalle in Wilhelmshaven, den der Künstler als Gründungsmitglied des Kunstvereins anstelle eines Denkmals für Kaiser Friedrich III. mit durchsetzte.

Die progressiven Strömungen der Zeit – man denke daran, daß sich auf der internationalen Kunstszene bereits die Futuristen und die Dada-Bewegung avantgardistisch darstellten – hat Siehl-Freystett nicht aufgenommen. Selbst in der kulturell verschlafenen Provinz Wilhelmshaven hatte man bereits moderne Bilder angekauft. Der Bauinspektor Hahn kaufte Werke von Kalkreuth, Leistikow, Corinth und Otto Modersohn. Vier Zeichnungen von Schmidt-Rottluff gingen als Schenkung an die Stadt. Das Konservative seiner eigenen Malweise fand Gefallen bei den Marineoffizieren und offiziellen Stellen. Ankäufe der Stadt und von Privatleuten ließen den Künstler nach anfänglichen Schwierigkeiten ökonomisch sorgenfrei leben. Siehl-Freystetts künstlerische Haltung, auch die enge Verbindung zur Landschaft, paßte 16 Jahre nach seinem Tode, ohne daß derartige extreme Anschauungen bei ihm selber vorhanden gewesen wären, hervorragend in ein gleichgeschaltetes Kulturprogramm der NSDAP. Das Bodenständige, die Ehrlichkeit, die Ästhetik der Maschinen- und Arbeitswelt in der Marinewerft ließen sich im Zusammenhang mit einem Aufruf in dem sozialdemokratischen Organ „Republik“, mit dem Siehl-Freystett zum Eintritt in eine unpolitische Bürgerwehraufforderte 3), als der Spartakusaufstand in Wilhelmshaven entbrannt war, leicht im Dritten Reich zu einem politischen philosophischen Mythos stilisieren. 4) Es handelte sich dabei um das Konstrukt eines engagierten nationalsozialistischen Journalisten, der 1935 Siehl-Freystetts Malerei als im Einklang mit der offiziellen Kunstauffassung darstellen wollte. 5) Dieser Gefahr waren alle Künstler ausgesetzt, deren Thema und Malweise dazu dienen konnten, eine reaktionäre Argumentation gegen die aktuelle Kunstentwicklung zu begründen.

Der Maler war Autodidakt. Er reagierte direkt auf die alltäglichen Eindrücke. 1906 gab er sein Photoatelier auf, mit dem er seinen Lebensunterhalt nach dem Austritt aus der Marine verdient hatte, und entschloß sich, nur noch von seiner Malerei zu leben. Von nun an nannte er sich nach seinem Heimatort Siehl-Freystett. In den folgenden Jahren entstanden die für ihn typischen Arbeiten, in denen er die Stadt, Werftanlagen, Hafenbecken, Kriegsschiffe und die nähere Umgebung Friesland und die Marsch thematisiert. Das Stadtbild wurde durch die aufstrebende Marine und ihre enorme Technikentwicklung geprägt. Das Interesse des Malers galt dem Kriegsschiffbau und der Konstruktion der Kaiser-Wilhelm-Brücke 1906/07, der damals größten Drehbrücke Europas, die seinerzeit ein technisches Wunderwerk war. Siehl-Freystett ist ein wichtiger Chronist Wilhelmshavens und hat wie kein anderer kontinuierlich die rasante Entwicklung dieser Stadt dargestellt – mit Bildern, nicht mit Texten. Analog zur Geschichtsschreibung der Stadt macht Siehl-Freystetts Werk die markanten Stationen der Genese der Stadt auch sinnlich greifbar. Es gibt in der erst hundertjährigen Geschichte der Stadt Wilhelmshaven keinen zweiten Künstler, der sich so intensiv und konsequent mit ihr auseinandergesetzt hat. Für eine kritische Reflexion ist es jedoch wichtig, diese Werke nicht als isolierte ästhetische Produkte zu sehen, sondern im Kontext ihrer historischen Gebundenheit. Wenn man z. B. die künstlerische Umsetzung technischen Gerätes, den Portalkran vor dem städtischen Lagerhaus, mit der Darstellung der Kaiser-Wilhelm-Brücke im Hafentriptychon vergleicht, sieht man, daß er hier mit einer anderen anderen ästhetischen Auffassung an das Sujet herangeht. Die Faszination und der Fortschrittsglaube, der aus dem Hafentriptychon und dem Triptychon „Schiffbau“ und anderen konzeptionellen Bildern spricht, sind hier nicht ausgeprägt. Bei diesem zivilen Malgegenstand finden wir wertfreie, nichtaffirmative impressionistische Hafenidylle.

II.
Aus den Anfängen der Photographien ist bekannt, daß sich Maler mit Photographien auseinandersetzten und sie als Hilfsmittel benutzten. Auch Siehl-Freystett hat photographiert und die Stadt mit dem Kameraauge gesehen. Das erkennt man, wenn man seine Malsituationen mit aktuellen Photographien und Bildausschnitten der gleichen Malorte Wilhelmshavens vergleicht. Er hat aber keine Photos für seine Bilder verwendet. Aus seiner Photopraxis sind lediglich Figuren und Gruppenbilder und Photos, die er als Gast auf Kriegsschiffen machte, erhalten. Bei einigen Bildern wird besonders deutlich, wie sie durch Kamerasichten, die den Blick des Malers geschult haben mögen, geprägt sind. Genaue Kompositions- und Figurenskizzen und Studien, besonders ausführlich zum Triptychon „Schiffbau“, zeigen jedoch, daß er nur in der Ausnahme nach einer Photovorlage arbeitete, so z. B. bei Auftragsarbeiten für Postkarten und bei dem Ölbild „November 1918″, welches in der Komposition und Gegenstandsbeschreibung nahezu identisch mit der photographischen Vorlage ist. Siehl-Freystett hat aber auch bis 1906 neben der Arbeit als Photograph ständig gemalt. In dieser Zeit entstanden Werke, die noch mit Siehl oder J. G. Siehl signiert sind. Sie sind stilistisch eindeutig vom späteren Werk abzugrenzen. Nach 1906 findet er seinen Stil, den er bis zu seinem Tode durchhält. Hier ist eine einschneidende Zäsur in seinem Werk.

Die Technikdarstellungen im Zusammenhang mit der Marinewerft Wilhelmshaven sind besonders spannend. Formale Entscheidungen, Anschnitte, wie er Räume malt, keine geschlossenen Kastenräume beschreibt, sondern die Dynamik des Geschehens, werden in der Komposition reflektiert. Diese Arbeiten gehen in ihrer inhaltlichen und kompositorischen Komplexität weit über die Landschaften hinaus. Die Technikdarstellungen sind formalästhetisch ganz konzeptionell geplant. Dies läßt sich an den Studien gut nachvollziehen. Mit den Studienblättern, Zeichnungen, Skizzen und Ölstudien zum Werftthema probiert der Maler aus, welche Bühne er benötigt, um den Blick des Betrachters zu führen. Man spürt seinen besonderen Spaß bei der Darstellung von Kriegsschiffen und vom Hafen. Die Technologie ist genau studiert, maritime Details stimmen. In den Studien zur „Werftschmiede“ findet man präzise Maschinenstudien und Überlegungen zur Gesamtkonzeption des späteren Ölbildes und situative Figurenskizzen am Rand. Hier finden wir häufiger Menschendarstellungen als in den fertigen Ölbildern. Sie sind besonders reizvoll, und man spürt das persönliche Engagement und das Einlassen des Künstlers auf die Situation.

Die Werftthemen zeigen aber auch seine Bewunderung für die aufstrebende Kriegstechnologie. Das monumentale Schiff, der Schlachtkreuzer HINDENBURG auf der Helling, wird im Mittelteil des Triptychons „Schiffbau“ in einer heroisierenden Malweise erstellt. Der fast menschenleere Mittelteil versetzt uns in einen Betrachter, der aus ameisenhafter Position fasziniert ist von dem mit viel Aufwand vorangetriebenen größten Schiffbauprojekt der deutschen Marine bis dahin. In der malerischen Objektbeschreibung manifestiert der Maler seine Sympathie. Die Analyse zeigt jedoch gravierende stilistische Unterschiede zu der Behandlung der anderen Themen. Er malt Landschaftsstimmungen, Stadtbilder und Porträts in schlichterer Manier. In den Studien zu den Werftthemen sieht man, wie er mit Liebe und genauem Auge am Ort gearbeitet hat. So wirkt der Mittelteil des Triptychons „Schiffbau“ dann schon eher wie ein dogmatisches heroisierendes politisches Bild. Der aufstrebende Bug ist die Analogie zum Bestreben des Kaisers, Deutschland zur herrschenden Seemacht zu machen. Siehl-Freystett partizipiert an den historischen Ereignissen und nimmt mit Fortschrittsgläubigkeit und positiver Haltung Anteil an der Entwicklung der Marine. Er liefert über seine zeichnerische und malerische Auffassung eine scheinbare Objektivität in der Darstellung von Kriegstechnik. Die aus der Untersicht überhöht erscheinenden Maschinen und die nur angedeuteten Menschendarstellungen zeigen jedoch tendenziell auch eine politische Position.

III.
Siehl-Freystett hat sich früh für die nordische Landschaft entschieden, die neben den Werft- und Stadtbildern ein wichtiger thematischer Aspekt seines Werkes ist. Man erkennt seine Liebe zu dieser Natur, die nicht seine ursprüngliche Heimat war, aber von ihm adaptiert wurde, denn sein Werk konzentriert sich hauptsächlich auf Wilhelmshaven und Umgebung. Man darf wohl vermuten, daß das Licht an der Küste für Siehl-Freystett als einem gebürtigen Süddeutschen außerordentlich faszinierend gewesen sein wird, wie später auch für die expressionistischen Maler und Franz Radziwill, die sich gegenüber Wilhelmshaven in Dangast am Jadebusen niederließen. „Abgelegen, ja abgeschnitten, vor 50 Jahren als Kolonial-Gründung ganz seiner militärischen Bestimmung unterworfen, war das um den Kriegshafen gelagerte Stadtgebiet noch nicht von jenem Wellenschlag großen kulturellen Umbruchs zu erreichen, dessen sichtbares Anzeigen seine neue künstlerische Sehweise bereits lange Unruhe verbreitete. Aber schon sehr nahe den militärischen Anlagen, am anderen Ufer des Jadebusens, wirkte eines der Sturmzentren der neuen Zeit: auf einsamer Geest des Dorfes Dangast arbeiteten die jungen Maler der ,Brücke‘, die Expressionisten Erich Heckel, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff in den Jahren 1907-1912; die Landschaft an der Jade brannte unter ihrer Feuerschrift.“ 6)

Das rauhe Klima, die sich abrupt verändernden Witterungsverhältnisse, der stetige Nordwest, der Wolkenfetzen vor der Sonne hertreibt, das besondere, sich im raschen Wechsel verändernde Licht im Norden und die Beleuchtung der vom Maler aufgesuchten Orte fordert bei Siehl-Freystett geradezu eine impressionistische Sehweise, die sich in der Alla-prima-Freiluftmalerei mit dem geschulten Auge des Photographen für Bildausschnitte verwirklicht. Bei ihm ist die Auseinandersetzung mit dem Licht auf die Gegenstände, Schiffe und Geräte konzentriert, so „schuf er mit breitem Pinsel gute, damals noch nicht genügend beachtete impressionistische Ölbilder, und fand die Motive im dampf- und rauchdurchzogenen Hafen, in den Brücken, Hellingen und Kränen der arbeiterfüllten Werft, dem Gedränge der Boote, Dampfer und großen Schiffsleiber auf bewegtem, spiegelndem Wasser, in der windüberwehten Weite unserer Marschlandschaft mit ihrer einzigartigen Wolkenbildung. Das vielfältige Grau, das zu manchen Zeiten über den Dächern der Stadt, auf den feuchten Straßen, Dämmen und Deichen, über Baum, Watt und Wasser liegt, wußte er auf seiner Palette treffend zu finden.“ 7) Aber auch der Widerspruch von ursprünglicher Landschaft und einer sich rasant mit der Technik entwickelnden künstlichen Stadt spiegelt sich in seinem Werk. Siehl-Freystett liefert mit seinen Bildern von Kirchen, Plätzen, Straßen, den Parks und historischen Gebäuden, die heute teilweise nicht mehr erhalten sind oder in völlig anderer Form wahrgenommen werden, Dokumente der Entwicklung der Marinegarnisonstadt. Siehl-Freystett hat, häufig mit dem Fahrrad, die ihm wichtig erscheinenden Orte der Stadt aufgesucht, im Freien gearbeitet. Man kann sich das wilhelminische Flair veranschaulichen, wenn man die Zeichnungen vom Adalbertplatz betrachtet. Straßen und Plätze hat er porträtiert: Gökerstraße, Marktstraße, das Rathaus, die Kopperhörner Mühle, die Kirchen und Straßen im Stadtteil Heppens. Hafenanlagen und Brücken.

Bereits 1910 zeichnet und malt Siehl-Freystett im Hafen Pleinair intensiv zivile Motive: Den Banter Hafen mit seinen Lastseglern, den Umschlag am Lagerhaus, das Geschehen an den Brücken. Die Obstboote aus dem Alten Land bilden ein häufig wiederkehrendes Motiv. Diese zahlreichen Einzeldarstellungen des Hafens, der durch die militärische Entwicklung, den Bau der dritten Einfahrt, neuer Docks, dem Entstehen von Hafenanlagen mit großen Kränen und dem Ausbau des Ems-Jade-Kanals ständig sein Gesicht verändert, zeigen Siehl-Freystetts Faszination durch die unterschiedlichen Aspekte des Geschehens und finden ihren treffendsten Ausdruck mit dem Triptychon „Hafen“.

Vermutlich sind mehr als ein Drittel der Werke des Künstlers, wie auch sein Wohn- und Atelierhaus, den Bombenangriffen auf Wilhelmshaven im Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen.

Anmerkungen:
1) Edgar Grundig: Chronik der Stadt Wilhelmshaven, Bd. II. 1853-1945. Typoskript, Wilhelmshaven 1957, S. 651 f.
2) August Mahr: Siehl-Freystett. In: Die Tide 3, September 1919, S. 142 ff.
3) Hartmut Wiesner: Johann Georg Siehl-Freystett, Ein Maler in Wilhelmshaven und Umgebung, Wilhelmshaven 1983. Ein Faksimile des Aufrufs ist auf S. 8 wiedergegeben.
4) Hermann Ahner: Die Siehl-Freystett-Gedächtnisausstellung. In: Wilhelmshavener Kurier, 4. 2. 1935.
5) Lars U. Scholl: Der Marinemaler Johann Georg Siehl-Freystett. In: Deutsches Schiffahrtsarchiv, 911986, S. 291.
6) Günter Pötter: Wilhelmshavener Maler. In: Wilhelmshaven, Stadt und Landschaft am Meer, Wilhelmshaven 1958, S. 178 f.
7) ders.: ebda.